Semiramide, La Signora regale

Themen-CDs sind gerade in Mode und das ist gut so. Anna Bonitatibus, die den Rossini-Freunden bereits mit einer Rossini-CD aufgefallen ist (Rossini – Un Rendez-vous) widmet ihre Doppel-CD mit einem umfangreichen Begleitbooklet dem Thema Semiramis. Die köngliche Herrin. Der Stoff um die babylonische Königin hat lange vor Rossini die Opernkomponisten fasziniert, und vor allem die Primadonnen, die ihr die Stimme liehen. Eine davon war Isabella Colbran, die die Stücke von Portogallo und Nasolini in ihrem Repertoire hatte und damit Rossini dazu herausforderte, denselben Stoff ihr in die Kehle zu schreiben. Das ging nicht ohne Probleme, denn ihre Stimme hatte 1823 ihren Zenit längst erreicht. Rossini komponierte ihr zunächst nur eine einteilige Auftrittsarie ohne Cabaletta, bevor er sich doch noch entschloss, ihr das allseits bekannte, umfangreichere Stück zu schreiben. Die ursprüngliche Version ist im Autograph noch als Entwurf zu erkennen, und Philip Gossett hat es für die Kritische Edition der Fondazione Rossini instrumentiert. Diese Fassung nun hat Anna Bonitatibus hier erstmals eingespielt (mitsamt dem einleitenden Frauenchor, gesungen von dem Chor „La stagione armonica“). Hier führt Semiramide ihr Sehnen nach Arsace in unzähligen Kadenzformeln fort, und die fehlende Auflösung mit einer Cabaletta bewahrt der „königlichen Herrin“, so der Booklettext, die Spannung auf die Begegnung.
Die CD wartet aber mit noch einer Rossini-Überraschung auf, zumindest für die Experten, denn im Booklet ist davon nicht die Rede. Zur Arie „Serbo ancora un’alma altera“ aus La morte di Semiramide von Sebastiano Nasolini wird nur festgehalten, dass sie „an vielen Stellen bereits rossinische Züge annimmt“ (S. 107) und „Nasolinis Partitur gebührt das Verdienst, die Königin wunderbar ins neue Jahrhundert hinüber zu geleiten“ (S. 47). Tatsache ist, dass die Cabaletta bei den Worten „Chi saprà comprender mai | tanta mia felicità“ eine deutliche Übernahme der Passage „Ah nel sen di chi s’adora | non ci resta che bramar“ aus Fannìs Arie „Vorrei spiegarvi“ aus La cambiale di matrimonio ist! Die eingespielte Fassung der Arie wird der San Carlo-Aufführung vom 16. August 1815 zugeschrieben (zwei Monate vor Rossinis Debüt mit Elisabetta), aber es scheint, dass Rossini diese Adaptierung als musikalischer Direktor des San Carlo vorgenommen hat, als die Oper 1817 wiederaufgenommen wurde. Wie komplex die Zuschreibungen sind, zeigt auch der Umstand, dass das berühmte „Son regina e son guerriera“ in A Hundred Years of Italian Opera (1800-1810) als Arie aus La Semiramide von Marco Portogallo eingespielt wurde. (Der Vergleich mit Yvonne Kenny zeigt übrigens, wie viel größer die ausdrucksmäßige Gestaltung durch Anna Bonitatibus ist, auch wenn sie manchmal durch ein etwas starkes Vibrato auffällt). Sergio Ragni hat bereits in seiner Colbran-Biographie die Hypothese aufgestellt, dass die Neapler Fassung, die ganz Nasolini zugeschrieben wurde, in der Tat ein Pasticcio war.
Aus der CD und dem Booklet erfahren wir auch, dass Manuel García den Text von Gaetano Rossi, den Rossini 1823 verwendet hat, 1828 für Mexico City selbst neu vertonte. Hier aufgenommen ist das Rezitativ und Gebet der Semiramide „Già il perfido discese – Al mio pregar t’arrendi“, die auf eigene Art und ganz ohne rossinische Reminiszenz berührt.
Neben diesen drei Stücken rund um Rossini bietet die CD noch weitere neun Arien und außerdem drei instrumentale Stücke aus Semiramide-Opern, in denen die Originalinstrumente der Accademia degli Astrusi unter der inspirierten Leitung von Federico Ferri ganz besonders zur Geltung kommen.